Donnerstag, 30. März 2006

Mäuseplage (Kurzgeschichte)

Ralf warf seine Karten hin. „Na dann,“ sagte er, „ich bin raus.“
Plötzlich sprang Benjamin mit einem Schrei hoch und wich zurück.
„Was ist denn los?“ wollten seine Freunde wissen. Sie saßen um den Wohnzimmertisch herum, spielten Karten und tranken einen guten Burgunder. Tobias wollte gerade sein neues Haustier vorzuführen und war mit einer weißen Maus auf der Hand ins Zimmer gekommen.
„Bleib mir bloß mit dem Vieh vom Leib!“ rief Benjamin, „ich hasse diese Biester!“
Tobias trug seine Maus schnell zum Käfig zurück.
„Ich dachte du magst Tiere?“
„Du hast doch keine Angst vor so einem kleinen Ding?“ bestürmten ihn seine Freunde mit Fragen.
„Natürlich mag ich Tiere, und ich habe auch keine Angst vor Mäusen. Aber diese Biester haben mir das Leben schon mal gründlich verdorben“ erklärte Benjamin.
„Was?“
„Erzähl!“
„Ja... wegen ihnen habe ich sogar einmal meine Freundin verloren!“
„Nein! Wie das denn?“
„Ich mag gar nicht mehr daran denken...“
„Ach komm, das musst du uns aber jetzt schon erzählen!“
„Also schön, dann erzähle ich euch aber die Geschichte von Anfang an.“
Benjamins Freunde setzten sich bequem zurück, um der Geschichte zu lauschen.
„Angefangen hat es eines schönen Novembertages. Ihr wisst ja, dass mein Haus recht alt ist und im Winter oft Mäuse bei mir unterschlüpfen. An diesem besagten Tag saß eine Maus in einer der aufgestellten Fallen. Eine ganz junge, vielleicht drei oder vier Wochen alt. Es war ein bitterkalter Wintereinbruch, und so hatte ich Mitleid mit dem kleinen Ding und beschloss sie über den Winter zu behalten, damit sie draußen nicht erfrieren müsse.
Am nächsten Tag war noch eine Maus in der Falle, genauso jung, es müssen wohl Geschwister gewesen sein. Ich habe sie zu der ersten in den Käfig getan. Ich fand sie einfach nur süß und habe oft meine Hand in den Käfig gesteckt, um sie an meinen Geruch zu gewöhnen und auf die Art zahm zu machen. Meine damalige Freundin fand sie anfangs auch zum anbeißen.
Ich nannte die beiden Max und Paul. Eines Tages fing ich an mir Sorgen zu machen. Paul war ziemlich fett geworden, ich dachte schon ich hätte ihn überfüttert. Aber nein! Ein paar Tage später stellte sich heraus, dass Paul wohl eher eine Pauline war. Ich entdeckte in ihrem Nestchen fünf kleine Babys, noch ganz rot und nackt und mit geschlossenen Augen. Später stellte sich heraus, dass es doch sieben waren, ich hatte zwei übersehen.“
„Ach wie süß!“ rief da Tobias. „Wie schön wäre das wenn meine Mäuse auch Junge kriegen würden!“
„Das würde ich an deiner Stelle nicht hoffen!“
„Aber...“
„Das kann böse enden, sag ich dir! Jetzt warte erst mal bis du die Geschichte zu Ende gehört hast!“
Tobias nickte und hing gebannt an Benjamins Lippen, als dieser weitererzählte.
„Als die Kleinen wuchsen, fing der Käfig auch an mehr zu riechen, und die Futterpackung wurde deutlich schneller leer. Drei Wochen später, die Jungen waren immer noch kleiner als ihre Eltern, lagen plötzlich schon wieder kleine rote Würmchen im Nest, diesmal waren es gleich neun. Ich beschloss, die Männchen und Weibchen zu trennen, so konnte das ja nicht weitergehen.
Nach dem Wochenende kaufte ich gleich einen zweiten Käfig und siedelte alle Männchen um. Ich hoffte sehr dass ich bei allen das Geschlecht richtig bestimmt hatte, ist gar nicht so einfach wenn sie noch nicht ausgewachsen sind.
Tja, wie soll ich sagen, das Wochenende als sie noch zusammen waren hat gereicht, um eine dritte Brut zu erzeugen. Drei Wochen später waren wieder sechs Mäuse mehr im Nest. Ich war schon der Verzweiflung nahe, diese Biester sind fruchtbarer als Schweine!
Inzwischen stanken sie schon richtig und machten ziemlichen Lärm, Tag und Nacht. Und zahm wurden sie auch nicht.
Ein paar Tage später musste ich selbst erfahren wie frühreif Mäuse sind. Eins der ersten Jungen wurde auch Mutter von sieben Kindern.“
„Ohgott, wie viele waren es denn jetzt insgesamt?“
„Es waren 27, vier von den Jungen waren gestorben.“
Benjamin trank einen Schluck.
„Ihr könnt euch sicher vorstellen was das jetzt für ein Gewusel war. Und der Gestank den die vielen Mäuse machten trotz täglichen Ausmistens! Ich hatte fast ständig das Fenster offen, und das bei der Kälte. Futter kaufte ich auch schon in rauhen Mengen.
Ich beschloss, dass noch mal zwei Käfige hermussten, die zwei die ich hatte wurden einfach zu eng. Meine Freundin war nicht so begeistert, als plötzlich vier Käfige im Wohnzimmer standen. Sie meinte das gehe zu weit, hat daraufhin ihre Sachen gepackt und ist zu einer Freundin gezogen.“
„Ach, und damit war eure Beziehung vorbei?“
„Nein, da noch nicht. Aber warte erst mal ab wie’s weiterging!“
Benjamin setzte sich zurecht.
„Einmal als ich gerade Futter in die Schüssel tat, ist mir eine Maus entwischt. Ich versuchte sie noch zu fangen, aber Mäuse können ja so schnell sein, sie flitzte unter meiner Hand davon und verkroch sich unter dem Schrank. Ich holte also einen Besen und versuchte sie mit dem Stiel wieder herauszutreiben. Das funktionierte auch gut, nur lief sie dann durch die offene Tür weg, die ich dummerweise vergessen hatte zuzumachen. Ich hätte mich selbst ohrfeigen können. Ich wusste nicht in welches Zimmer sie gelaufen war, und so stellte ich überall Absperrungen auf und legte in jedes Zimmer eine Schüssel mit einem Leckerbissen. Ich setzte mich hin und wartete. Nach einer Weile hatte sie in meinem Arbeitszimmer den Leckerbissen weggefressen. Ich teilte also das Arbeitszimmer mit Brettern und Möbeln in vier Teile, legte wieder eine Schüssel mit Leckerbissen hin und wartete. Stunden später wusste ich wo sie sich befand und fing an meinen Schreibtisch zu durchsuchen. Ich machte die erste Schublade auf und erschrak. Die Liebesbriefe, die ich von meiner Freundin bekommen hatte, waren völlig zerknabbert. Ich suchte wütend weiter, bis ich sie endlich fand, eingekuschelt in ein Nest aus Liebesbriefresten und Buntstiftspänen. Ich fing sie ein, und bis ich sie wieder in den Käfig gesetzt hatte, hatte sie meinen Finger blutig gebissen.
Ich hatte inzwischen die Nase schon richtig voll von den vielen Mäusen, konnte den Gestank bald nicht mehr ertragen, und wenn ich mir abends einen Film anschauen wollte musste ich den Fernseher auf volle Lautstärke stellen um die Schauspieler verstehen zu können. Die Mäuse machten so einen Krach mit ihrem
Scharren und Laufen, die Laufräder quietschten ganz schön! Manchmal war ich schon nahe dran diese Biester zu erschlagen.
Bald blieb ich so lange ich konnte draußen, nur um die Mäuse nicht mehr ertragen zu müssen. Einmal holte ich mir dabei sogar Erfrierungen an der Nase und musste zum Arzt gehen.“
Benjamins Freunde lachten.
„Ja, ihr lacht! Dabei fand ich das damals gar nicht lustig. Für mich war damit endgültig Schluss und es stand fest: die Mäuse müssen weg. Ich fragte alle Freunde und Bekannten ob jemand Interesse an ihnen hätte. Auf die Weise wurde ich zwei Mäuse los.
Eine ganze Woche lang versuchte ich noch weitere an den Mann zu bringen, aber keiner wollte sie haben. Eines Tages packte ich die Käfige, brachte sie in den Wald, öffnete sie und fuhr so schnell ich konnte wieder nach Hause. Sollten sie doch erfrieren oder die Eulen und die Katzen sie erwischen, mir war das mittlerweile egal!
Ich sag’s euch, die Ruhe zuhause war einfach himmlisch! Ich schwor, mir nie wieder ein Haustier zuzulegen, das sich vermehren kann, und feierte meine Freiheit, indem ich mir einen Indiana Jones Film reinzog und eine Flasche meines besten Weins köpfte. Und als eine Woche später meine Freundin wieder einzog, fühlte ich mich wie im siebten Himmel.“
„Aber ich dachte die Mäuse hätten eure Beziehung beendet?“
„Haben sie auch. Drei Wochen später kam sie mit zwei Kaninchen nach Hause und ich bin noch am gleichen Tag ausgezogen.“

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